Juventus verpasst Titelverteidigung
Dortmund-Fans haben sich den 28. Mai 1997 rot im Kalender angestrichen, ÖFB-Ex-Teamspieler Wolfgang Feiersinger hat ihn wahrscheinlich aus dem Gedächtnis gelöscht. Im Finale der Champions League rangen die Gelb-Schwarzen Juventus Turin mit 3:1 nieder und feierten den größten Erfolg der Clubgeschichte. Während das Endspiel gleich zwei Heldengeschichten schrieb, blieb Feiersinger nur die Zuschauerrolle.
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Anlässlich der Rückkehr der UEFA Champions League in den ORF ist das Finale 1997 am Montag in voller Länge ab 18.00 Uhr in ORF Sport + zu sehen. Kaum etwas sprach damals für einen Triumph von Dortmund. National in der Liga nach der schlechtesten Rückrunde in der sechsjährigen Amtszeit von Erfolgscoach Ottmar Hitzfeld nur Dritter hinter Bayern München und Bayer Leverkusen kämpfte sich die Truppe in der Königsklasse dennoch bis ins Finale.
Was den internationalen Erfolgslauf umso bemerkenswerter machte, war die Tatsache, dass nach zwei Meistertiteln sowohl auf als auch abseits des Platzes nichts mehr besonders rund lief. Da war nicht von einem eingeschworenen Haufen die Rede. Schon vor dem Saisonauftakt zwang etwa eine schwere Verletzung von Matthias Sammer den Club zum Handeln.
Last-Minute-Verpflichtung von Feiersinger
48 Stunden vor dem ersten Ligaspiel wurde deshalb Feiersinger vom damaligen österreichischen Meister Austria Salzburg als Ersatzlibero geholt. Während Sammer in der Saison aufgrund weiterer Verletzungen nur 13 Ligaspiele bestritt, entwickelte sich der Österreicher nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten zur festen Stütze und war nicht zuletzt bei den beiden Defensivschlachten im CL-Halbfinale gegen Manchester United (zweimal 1:0) als Abwehrchef einer der Väter des Finaleinzugs.

GEPA/Hans F. Punz
Feiersinger kam dem CL-Pokal erst nach dem Abpfiff richtig nahe
Ganz anders die Situation bei Juventus: Zwar verpasste man den Platz in der Königklasse in der Liga als Zweiter mit sieben Punkten Rückstand auf Meister Milan deutlich, als CL-Titelverteidiger stand den Turinern aber ein Fixplatz zu. Nach der Gruppenphase mit fünf Siegen und nur einem Remis (1:1 bei CL-Debütant Rapid) räumte man im Viertelfinale zunächst Rosenborg Trondheim mit einem Gesamtscore von 3:1 aus dem Weg und zog mit einem 6:2-Erfolg über Ajax Amsterdam souverän ins Endspiel im Münchner Olympiastadion ein.
Sammer verdrängt Feiersinger auf Tribüne
Unmittelbar vor dem Spiel meldete sich bei Dortmund dann aber Sammer wieder fit. Hitzfeld entschied sich trotz Trainingsrückstands und fehlender Spielpraxis überraschend für den DFB-Nationalspieler, und Feiersinger blieb aus taktischen Gründen - damals waren nur 16 Spieler im Kader erlaubt - nicht einmal ein Platz auf der Ersatzbank. Der damals 32-Jährige, der es damit auch verpasste, sich als zweiter Österreicher nach Franz Hasil als Spieler die CL-Krone aufzusetzen, fügte sich seinem Schicksal, der Stachel saß aber auch Jahre später noch tief.
TV-Hinweis
ORF Sport + zeigt die Highlights des CL-Finales 1997 zwischen Juventus Turin und Borussia Dortmund am 31. August ab 18.00 Uhr.
Was Feiersinger danach von der Tribüne aus mitansehen musste, darf ruhig in die Kategorie „Fußballmärchen“ eingeordnet werden: Zum fünften Mal in Folge erreichte ein italienischer Verein das Endspiel der Königsklasse. Mit Juventus stand den Dortmundern zudem der Titelverteidiger und frisch gebackene italienische Meister gegenüber. Die „alte Dame“ um Superstar Zinedine Zidane dominierte die Partie zunächst wie erwartet, die Deutschen verteidigten nur. Wie aus heiterem Himmel fiel dann aber der Führungstreffer für Dortmund.
Riedle schlägt in fünf Minuten zweimal zu
Nach einem Eckball konnte sich Juve nicht befreien. Der Ball landete noch einmal in der Gefahrenzone, wo Karl-Heinz Riedle goldrichtig stand und unhaltbar für Angelo Peruzzi im Turiner Tor zum 1:0 unter die Latte hämmerte (29.). Der Jubel der BVB-Fans im mit 59.000 Zuschauer ausverkauften Münchner Olympiastadion war noch gar nicht verhallt, als der Torjäger auch ein zweites Mal zuschlug. Wieder nach einem Corner sprang Riedle am höchsten und versenkte den Ball per Kopf in den Maschen (34.). Und weil Zidane nur die Stange traf und ein Treffer von Christian Vieri wegen Handspiels aberkannt wurde, ging es mit 2:0 in die Kabine.

AP/Luca Bruno
Mit zwei Treffern ebnete Riedle dem BVB in der ersten Halbzeit den Finalsieg
Nach dem Seitenwechsel drängte Juventus auf den Anschlusstreffer und nach dem 1:2 von Alessandro del Piero, der in der Pause eingewechselt worden war und den Ball nach Vorarbeit von Alen Boksic per Ferse im Tor versenkte (64.), schien der Ausgleich nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Hitzfeld reagierte und sollte damit die Weichen zu einem der ungewöhnlichsten Tore in der Geschichte der Champions League stellen. Zunächst brachte der Schweizer Heiko Herrlich und schickte nur kurz darauf auch BVB-Jungstar Lars Ricken aufs Feld.
BVB-Jungstar Ricken kam, sah und traf
Der 21-Jährige stand gerade 14 Sekunden auf dem Platz, als er seinen großen Auftritt hatte. Nach einem perfekten Lochpass von Andreas Möller lief Ricken allein auf Angelo Peruzzi zu und überhob den zu weit vor seinem Tor postierten Juve-Schlussmann mit seiner ersten Ballberührung aus rund 30 Metern zum vorentscheidenden 3:1 im Netz. 14 Jahre nach dem Triumph des von Ernst Happel betreuten Hamburger SV 1983 und als dritter Club nach den Bayern, die sich den Titel von 1974 bis 1976 gleich dreimal in Serie holten, kam der Sieger des Meisterbewerbs wieder aus Deutschland.
„Ich kann diesen Erfolg noch gar nicht begreifen, es ist wie im Traum. Wir haben heute ein unglaubliches Spiel und auch Glück gehabt. Der Druck war vorher enorm groß, jetzt fällt eine riesengroße Last ab. Ich will den Sieg zuerst ganz für mich allein feiern“, sagte der für Feiersinger aufgebotene Sammer nach dem Spiel. Und auch wenn ihn sein Weg nach dem Finaltriumph auch zum Österreicher führte, um ihn zu trösten, verschmerzen konnte Feiersinger die für ihn persönlich gefühlte Niederlage bis heute nicht.
Wolfgang Rieder, ORF.at
Champions-League-Finale 1996/97
28. Mai 1997:
Juventus Turin - Borussia Dortmund 1:3 (0:2)
Olympiastadion München, 59.000 Zuschauer, SR Puhl (HUN)
Torfolge:
0:1 Riedle (29.)
0:2 Riedle (34.)
1:2 Del Piero (64.)
1:3 Ricken (71.)
Juventus: Peruzzi - Ferrara, Porrini (46./Del Piero), Montero, Mark Juliano - Di Livio, Deschamps, Jugovic, Zidane - Boksic (88./Tacchinardi), Vieri (73./Amoruso)
Borussia: Klos - Sammer - Kohler, Kree - Reuter, Lambert, Möller (89./Zorc), Paulo Sousa, Heinrich - Riedle (67./Herrlich), Chapuisat (70./Ricken)
Gelbe Karten: Porrini, Iuliano bzw. Paulo Sousa, Ricken
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